Über die „Querdenker“ und Spaziergänger*innen

Die „Querdenker“-Bewegung gibt sich nach außen wie eine heterogene Bewegung und versucht Menschen aus unterschiedlichen Spektren der Gesellschaft anzusprechen. Dabei eint die meisten eine Wissenschaftsskepsis oder Ablehnung der Medizin.
Doch gibt es immer wieder den Verdacht und die Befürchtung, dass die „Bewegung“ von Rechten und Rechtsextremen unterlaufen oder sogar aus diesem Kern heraus organsiert wird. Diese versuchen die momentane Situation für ihre eigenen politischen Ziele zu missbrauchen. Auch Personen der „Reichsbürger“-Szene stehen der Organisation der „Querdenker“ nahe, wie sich spätestens durch das Bekanntwerden der Verbindung Michael Ballwegs (Gründer der „Querdenker“, [Wikipedia]) zu Anhängern der „Reichsideologie“ zeigt. [1]
Kritik an Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und einer möglichen allgemeinen Impfpflicht treiben viele Menschen um und manche auf die Straße. Doch sollte sich Jede*r bewusst sein, mit wem er*sie zusammen auf die Straße geht und welche Positionen damit auch (mit) legitimiert werden.

Telegram

Auf dem Messenger Telegram wird in unterschiedlichen (öffentlichen) Gruppen zu „Spaziergängen“ und Demonstrationen aufgerufen. Zu den wichtigsten Gruppen gehören „Querdenken 711“ (57.000 Mitglieder) und in Frankfurt „Querdenken69“ (1.800 Mitglieder). Zwischen den verschiedenen Gruppen werden immer wieder auch Nachrichten zu fragwürdigen Inhalten geteilt und weitergeleitet. Der Begriff „Querdenker“ wird von jetzigen Demos gemieden. Zum Verbreiten von Demoaufrufen und „Informationen“ werden weiterhin die gleichen Gruppen als Echokammern verwendet.
Besonders im Zusammenhang mit den Veranstaltungen in Heddernheim steht die Gruppe „Freiheitsfreunde Frankfurt/Rhein-Main“, die bis vor kurzem noch die Beschreibung „Freiheit statt Sozialismus“ und die „Gadsden flag“ im Profilbild hatte. (Die Gadsden flag ist eine Fahne aus der Zeit der Amerikanischen Revolution und wird heute von Rechtsextremen, Libertären und Verschwörungsidiolog*innen verwendet. [2])
In dieser Gruppe wurde unseren Wissens nach auch als erstes für die Demonstration in Heddernheim geworben. Dazu wurde (und wird auch weiterhin) ein Bild, auf dem die Kirche St. Thomas zu sehen ist, verwendet und damit ungefragt instrumentalisiert. 

Anfang des Jahres war der Untertitel „Freiheit statt Sozialismus“ und die „Gadsden flag“ im Titelbild.
Mitte Januar 2022 ändert die Gruppe ihre Außendarstellung. Im Titelbild verschwindet die Gadsden flag, stattdessen erscheint eine Friedenstaube und der Untertitel wird zu „Freiheit und Selbstbestimmung“.

BitChute

Nach den Demonstrationen in Heddernheim werden in besagter Gruppe („Freiheitsfreunde Frankfurt/ Rhein-Main“) auch Videos von diesen auf der Plattform „BitChute“ hochgeladen und mit ungenauen Viedeobeschreibungen versehen, z.B. „Hunderte demonstrierten am Dienstag“, obwohl nicht mal einhundert Menschen an dem „Spaziergang“ teilnahmen. 
BitChute ist eine Videoplattform, die vor allem in rechten und Verschwörungskreisen Anklang findet, da hier Inhalte geteilt und hochgeladen werden können, die sonst auf Plattformen wie YouTube oder Facebook gesperrt und gelöscht würden. [3]

Aufkleber

In Heddernheim, vor allem nach den Dienstags stattfindenden Demonstrationen tauchen immer wieder verschiedene Aufkleber im Stadtteil auf. Inhalte reichen von „kritischen“ polemischen Sprüchen, bis hin zu Aussagen, die die Apartheit oder das dritte Reich relativieren (Beispielfotos siehe [8], [9]).
Die Aufkleberdesigns stammen dabei überwiegend aus einer Telegramgruppe. Sie sind so designt, dass jede*r sie mit einem Laserdrucker in schwarz-weiß auf Folie drucken kann. Perverserweise trägt die Gruppe auf Telegram „Weiße Rose“ im Namen und nimmt damit Bezug auf die Widerstandsgruppe um Sophie Scholl im dritten Reich [4]. In derselben Gruppe wurde neben den Aufklebervorlagen bspw. auch ein Video der rechtsextremen Indentitären Österreich von Martin Sellner [5] geteilt. 
Andere Aufkleber, die sich in Heddernheim finden, stammen etwa von einem einschlägigen rechten Internetshop und reden von einer „Volksspaltung“. 
Außerdem finden sich Aufkleber der „Querdenker“-Partei Die Basis und solche, die eine Covid-Impfung mit dem Contergan-Skandal gleichsetzen.

Zwei Beispiele der auch in Heddernheim gefundenen Sticker:

[8] Links: Die Impfpasskontrolle wird mit der Kontrolle jüdischer Menschen durch Wehrmachtssoldaten während des Nationalsozialismus verglichen. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ihre Rechtsauffasung kürzlich geändert und bewertet „alles, was mit der Verharmlosung des Holocaust in Verbindung gebracht werden könnte“ als „sekundären Antisemitismus“ und geht von einer Strafbarkeit aus. [6]

[9] Rechts: Polemische Sprüche, die nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung gegen Covid-19 entsprechen und krude Verschwörungstheorien werden aufgegriffen.

Strategien

Es zeichnet sich ab, dass es in vielen Gruppen momentan nur vordergründig um die Pandemie und den Umgang mit dieser geht. Das Ziel scheint viel mehr, rechte und Verschwörungsideologien stärker in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Dazu werden ganz bewusst positive Symbole (Friedenstaube) und Begriffe (Spaziergang, Querdenken) „entfremdet“. Durch die Identifikation mit politischen Wiederstandskämpfer*innen und Opfern des Nationalsozialismus soll die Szene anschlussfähig gemacht werden, abschreckenden Charakter verlieren und ihre Anhängerschaft heldenhaft darstellen. Dabei werden die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost und die Opfer und ihr Leid instrumentalisiert.

Zwar sind die Teilnehmendenzahlen bei den großen Demonstrationen in der Innenstadt aktuell rückläufig, dennoch stellt es aus unserer Sicht ein Risiko dar, diesen Menschen unwidersprochen das Feld zu überlassen.

Stand Februar 2022

Links zu weiteren Informationen

ASVI (Aufklärung statt Verschwörungsideologien)
ASVI – Startseite
ASVI – Die Corona-Rechten im Jahr 2022
ASVI – Wer sind die Corona-Rechten

Quellen

[1] – „‚Querdenker‘ im ‚Königreich'“ – Tagesschau
[2] – Gadsden flag – Wikipedia
[3] – BitChute – Wikipedia
[4] – Weiße Rose – Wikipedia
[5] – Martin Sellner – Wikipedia
[6] – „Verharmlosung der Shoa bei Corona-Demos“ – Der Tagesspiegel